von Simone Neusüß

 

Hercules am Viergötterstein an der Nußdorfer KircheDer Viergötterstein an der Kirche, die Sarkophagplatte im Kirchgarten, der Minervastein und die römischen Münzen im Bauernkriegsmuseum – all diese Funde weisen auf eine Besiedlung in römischer Zeit hin. Vielleicht stand auf dem heutigen Kirchhügel eine Villa rustica, ein römisches Landgut im Hinterland des Limes, das die Bevölkerung und die stationierten Grenztruppen mit Agrarprodukten versorgte.

 

Minervastein im MuseumZur Religionsausübung auf dem Landgut gehörte eine „Jupiter-Giganten-Säule“, von der nur noch der Viergötterstein erhalten ist. Die Säule war ursprünglich bunt bemalt und mehrere Meter hoch. Der Viergötterstein bildete nur ihren quadratischen Sockel. Die dargestellten Götter sind Jupiter, Juno, Minerva und Hercules. Jupiter, Juno und Minerva werden auch als „Kapitolinische Trias“ bezeichnet, denn sie waren die drei Hauptgötter auf dem Kapitol in Rom.

 pdfRömisches Nußdorf

Hauptgott Jupiter wurde mit dem griechischen Zeus gleichgesetzt. Seine Attribute Blitz und Adler verweisen darauf, dass er ein Himmelsgott, Lichtgott und Wettergott war. Seine Darstellung auf dem Viergötterstein ist sitzend, mit Toga, Stab und Adler. Gesicht und Brust wurden ihm in christlicher Zeit abgemeißelt. 

 

Juno, Namengeberin des Monats Juni, war die höchste römische Göttin und die eifersüchtige Gattin Jupiters. Sie war die Göttin der Geburt, der Ehe und der Fürsorge. Gleichgesetzt wurde sie mit der griechischen Hera. Dargestellt ist Juno auf dem Viergötterstein mit Tunika, Schleier, Opfergefäß und Pfau.

 

Minerva, die Stadtgöttin Roms, war die Göttin der Weisheit, der Künste, des Handwerks und des Verteidigungskrieges. Gleichgesetzt wurde sie mit der griechischen Athena, einer Tochter des Zeus (Jupiter) und seiner Geliebten Metis. Auf dem Viergötterstein ist sie mit Eule, Lanze und Schild dargestellt. Der Minervastein im Museum zeigt die Göttin auf einem Flechtstuhl sitzend mit Tunika, Helm, Lanze und Schild. Hinter ihr sitzt die Eule, die für Weisheit stand, aber auch ein Todesbote war.

 

Hercules war der Gott des Handels und Erfolgs und ein Beschützer vor Albträumen. Er war angelehnt an den griechischen Helden Herakles, den Sohn des Zeus und seiner Geliebten Alkmene. Der griechische Herakles vollbrachte zwölf Heldentaten. Der römische Hercules hatte auch etruskische Wurzeln. Seine Darstellung auf dem Viergötterstein ist unbekleidet, mit Keule und Löwenfell.

 

Über dem Viergötterstein befand sich ein achteckiger Zwischensockel mit den Wochengöttern. Sie waren die sieben babylonischen Planetengötter, denen jeweils ein Wochentag geweiht war: Sonne, Mond, Mars, Merkur, Jupiter, Venus und Saturn. In den folgenden Jahrhunderten wurden sie jedoch durch andere Götter und Bezeichnungen ersetzt, so dass sich im Französischen noch fünf und im Deutschen nur noch zwei namentlich erhalten haben: Sonntag und Montag. Auf der achten Seite des Zwischensockels stand meist eine Weihinschrift an den römischen Hauptgott „IOM“, Iupiter Optimus Maximus (Jupiter, der Beste und Größte).

 

Über dem Zwischensockel ragte eine mit Schuppen oder Weinranken verzierte Säule in die Höhe. Auf der Säule saß ein korinthisches Kapitell, das meist mit den weiblichen Köpfen der vier Jahreszeiten verziert war. Durch die Planeten-Wochentage und die Jahreszeiten hatte die Säule eine kosmisch-kalendarische Bedeutung. Der Gutsbesitzer brachte an ihr vermutlich Opfer für eine gute Ernte und Erntedankopfer dar.

 

Das Kapitell wurde schließlich wiederum von Jupiter bekrönt, der auf einem Pferd saß. Mit dem Blitzbündel in der Hand, bekleidet mit einem Feldherrenpanzer und wehendem Mantel ritt er den Giganten nieder. Der auf dem Bauch liegende Gigant hatte einen menschlichen Oberkörper und einen schlangenförmigen Unterleib. Der mythische Kampf zwischen Göttern und Giganten war bereits im antiken Griechenland ein beliebtes Thema. Hier im römischen Grenzland symbolisierte er auch die Überlegenheit des Imperiums über die Barbaren. 

 

Für das Militär war Jupiter ein Schlachtengott. Als „IOM STATOR“ brachte er die Heere zum Stehen. Wie ein römischer Kaiser ritt er im Brustpanzer über die Feinde hinweg. Die Darstellung Jupiters als Feldherr zu Pferde stammte aus dem Orient – aus Kleinasien und Syrien. Als „Jupiter Dolichenus“ stammte er aus Doliche in Syrien. Hier am Limes wurde Dolichenus mit dem Kaiser als oberstem Feldherrn verknüpft.

 

Auf einer anderen Ebene bleibt die Darstellung kosmologisch: Mit dem Blitzbündel in der Hand symbolisierte Jupiter eben auch den Himmel selbst und Blitze konnten für Regen und gute Ernte, aber auch für Hagel und Gefahr stehen. Der Gigant symbolisierte als Schlangenwesen die Erde und damit einerseits Fruchtbarkeit und andererseits Unterwelt und Totenreich.

 

Jupitergigantensäulen waren in Italien quasi unbekannt, typisch waren sie dagegen in den Provinzen in Ostgallien, am Rhein und in Westrätien. Die meisten Säulen wurden in der spätrömischen Kaiserzeit um 170 bis 240 n. Chr. errichtet. Die römischen Münzen in Nußdorf stammen aus der Zeit 117 bis 353 n. Chr.

 

Zur Herkunft der Säulen gibt es eine Theorie: Die einheimischen Kelten (Gallier) verehrten ursprünglich Bäume mit ihrem Hauptgott. Ihre Heiligtümer waren Haine, ihre Priester, die Druiden, waren Eichenkundige. Auch dem griechischen Zeus war die Eiche heilig und die Germanen verehrten mit der Irminsul ebenfalls einen Baumstamm. In spätrömischer Zeit wurden diese Baumstämme vermutlich zu Steinsäulen, die aber noch mit Weinranken- oder Eichenlaubrelief verziert waren. Für die Kelten spricht, dass Jupiter manchmal mit einem Rad dargestellt wurde, einem keltischen Attribut. Das Rad war seit der Bronzezeit ein kosmisches Symbol. 

 

Die babylonisch-ägyptischen Wochengötter wurden in der Spätantike auch im Mithraskult dargestellt, der ebenfalls mit den Säulen in Verbindung stand. Für die damalige Multikulti-Bevölkerung legt der Viergötterstein an der Kirche bis heute Zeugnis ab, aber auch die spätmittelalterlichen Evangelistensymbole im Kirchenchor waren wohl ursprünglich babylonische Planetengötter, Hüter der vier Weltecken und Träger des Himmelsgewölbes, wie sie auch heute noch das Chorgewölbe unserer Pfarrkirche tragen.